Letztes Jahr saß ich während einer Geschäftsreise als Dolmetscherin beim Abendessen mit fünf Japanern und acht Deutschen in einem Restaurant in Hamburg. Bereits nach nur einem Glas Bier wurden die japanischen Geschäftsleute sehr locker und ausgelassen, als einer plötzlich rief: »Winkler-san, ich liebe dich!«
Die deutsche Ingenieurin Sandra Winkler war sehr überrascht. Den ganzen Tag über zeigte dieser bemerkenswert langweilige japanische Geschäftsmann einen von tiefer Ernsthaftigkeit versteinerten Gesichtsausdruck, ohne ein einziges Mal zu lächeln, – und jetzt krähte er mit seligem und hochrotem Gesicht eine Liebeserklärung quer über den ganzen Tisch!
Als Japanerin war ich keineswegs überrascht, dass auch ein stocksteifer Japaner nach ein oder zwei Bier deutlich lauter und zugänglicher wird. Denn in Japan gilt die Regel: Beim Feiern nach der Arbeit darf man ruhig offensichtlich besoffen sein, Witze über den Chef reißen – und sogar am Tisch bei einem Geschäftsessen einschlafen.
Letzteres ist auch einem der japanischen Geschäftsleute in Hamburg nach einem kleinem Bierchen passiert, aber alle anderen Japaner am Tisch – inklusive seiner Ehefrau – haben sein Nickerchen während des Hauptganges höflich ignoriert und so getan, als würden sie es gar nicht bemerken. Selbst am nächsten Tag sprach keiner davon, denn beim gemeinsamen Trinken ist in Japan vieles erlaubt. Niemand sollte deswegen sein Gesicht verlieren.
Natürlich war auch der Satz: »Ich liebe dich!« nicht ernst gemeint, sondern lediglich das einzige bisschen Deutsch aus seiner Universitätszeit vor über vierzig Jahren, an das sich der Japaner noch erinnern konnte, – und den er dazu noch sehr witzig fand.
Frau Winkler erkundigte sich dann höflich bei ihm, wie man »ich liebe dich« auf japanisch sagt.
Der Japaner musste kurz überlegen und sagte dann langsam: »Watashi wa anata o aishite imasu.« Für Frau Winkler war es etwas schwierig, diesen Satz nachzusprechen und ich erklärte ihr deshalb, dass sie sich den Satz nicht merken müsse, denn kein Japaner würde ihn jemals aussprechen.
Alle Deutschen am Tisch waren jetzt sehr überrascht und wollten von den Japanern wissen, ob sie ihrer Ehefrau tatsächlich nie gesagt hätten, dass sie sie lieben. Immerhin waren doch alle verheiratet!
Einer der Japaner antwortete: »So etwas drücken wir nicht mit Worten aus. Das ist auch so ganz offensichtlich.«
Frau Winkler wollte trotzdem wissen: »Aber bei ihrem Heiratsantrag werden Sie Ihrer Frau doch wenigstens gesagt haben, dass Sie sie lieben, oder nicht?«
Er erwiderte, nein, er habe ihr damals nur erklärt, dass er ihre Miso-Suppe jeden Tag zum Frühstück essen wolle. Damit waren seine Absichten eindeutig, sie war einverstanden und hat ihn geheiratet.
»Ich liebe dich« zu sagen, empfinden die allermeisten Japaner in der Tat als zu direkt, aufdringlich, ungeschickt und nur wenig romantisch.
Eine gute Freundin von mir bekam vor kurzem Handschuhe von ihrem Freund geschenkt. Als sie sie anprobierte und die Hand wieder herauszog, steckte ein Verlobungsring an ihrem Finger.
Sie hat direkt »Ja« zu ihm gesagt.
mm|jah